Keyvisual: Agiles Arbeiten

    Agilität in der Beschaffung: Wie Einkäufer zum Innovationsbeschleuniger werden

    Agiles Arbeiten ist in der Software-Entwicklung längst als Organisationscode etabliert. Ein Vorteil gegenüber herkömmlichem Projektmanagement: Agiles Arbeiten erlaubt einen hohen Grad an Flexibilität, denn Teams können sich schnell auf veränderte Bedingungen einstellen. Auch im Einkauf kann diese Methode helfen, komplizierte Prozesse effizienter zu bearbeiten und Einkäufer zu einem Moderator für Innovationsprozesse machen.

    Agiles Arbeiten setzt Potenzial für Innovationen frei:

    • Agile Teams reagieren schneller auf Herausforderungen
    • Agile Methoden beschleunigen den Informationsaustausch
    • Agile Einkäufer moderieren Innovationsprozesse

    Agilität ist keine Methode, die einfach in ein Unternehmen eingebracht werden kann: „Agil ist kein Wert, sondern ein Mittel zum Zweck“, erklärt Dr. Stefan Rothermel, der bei der Mercateo als Head of Agile arbeitet. Der promovierte Psychologe war als Projektmanager bei der Deutschen Bahn tätig und hat die Herausforderungen von herkömmlichem Projektmanagement kennengelernt. „Sind Projekte in starrer Abfolge geplant, reichen kleine Verzögerungen, um die Planung durcheinander zu bringen“, erklärt er. Viele klassisch organisierte Projekte, zum Beispiel beim Bau von Infrastruktur etwa Brücken oder Verkehrsprojekten, sind häufig in einer linearen Abfolge geplant. Bei Methoden wie dem Gantt- oder Wasserfall-Modell werden Aufgaben nacheinander abgearbeitet. Ist bei diesen Methoden eine Aufgabe erledigt, widmen sich die beteiligten Teams der nächsten. Kommt es dabei jedoch zu Verzögerungen, setzen die sich bis zum Ende des Projektes fort. Die Folge der schwierigen Koordination der verschiedenen Beteiligten am Projekt sind verspätete Projektabschlüsse und eine hohe Fehleranfälligkeit.

    Agiles Arbeiten funktioniert anders. Statt hohem Detailgrad in der Planung werden viele Aufgaben und Herausforderungen gleichzeitig angegangen. „Agiles Arbeiten heißt nicht, dass überhaupt nicht mehr geplant wird“, schränkt Dr. Rothermel ein. „Agiles Arbeiten bedeutet eher, möglichst viele Aufgaben in kleine Teams zu delegieren. Die arbeiten dann gemeinsam, auch über Abteilungs- und Unternehmensgrenzen hinweg, an Lösungen.“ Damit das gelingt, braucht es ein klar definiertes Ziel, das es zu erreichen gilt. Teams nähern sich Lösungen in vielen kleinen Schritten an. Sie unterteilen ein großes Ziel in zahlreiche Zwischenaufgaben. Das macht es leichter, auf sich ändernde Bedingungen zu reagieren und ständig zu adaptieren. Unternehmen und Teams können somit in einem schwer vorhersehbaren Umfeld besser bestehen, wenn sie auf agile Methoden setzen als auf lineares Arbeiten.

    Agilität macht es leichter, in einem wechselhaften Umfeld erfolgreich zu sein

    Wie dann diese Lösungen erarbeitet werden und wie sie letztendlich aussehen, ist beim agilen Arbeiten nicht im Detail vorgegeben. Vielmehr geht es darum, Kommunikation zwischen den Beteiligten möglich zu machen und zu nutzen. „Agile Teams arbeiten häufig cross-funktional. Je mehr Beteiligte mit unterschiedlichen fachlichen Perspektiven zusammenarbeiten, desto innovativer können die Lösungen aussehen, die in solchen Teams entstehen“, schätzt Dr. Stefan Rothermel ein.

    Damit agile Teams erfolgreich arbeiten können, stehen ihnen verschiedene Methoden zur Verfügung, mit denen sie Aufgaben strukturieren und Ziele definieren können. Die vielleicht bekannteste Vorgehensweise zur Organisation agiler Teams heißt Scrum. Entwickelt wurde Scrum von Jeff Sutherland und Ken Schwaber. Beide waren als Software-Entwickler tätig und haben früh gemerkt, dass herkömmliche Methoden im Projektmanagement für diesen Bereich an ihre Grenzen stoßen.

    Genau wie bei Infrastrukturprojekten werden bei der Software-Entwicklung klare Anforderungen definiert, die mit einer Software erfüllt werden sollen. Versuchen Entwickler, diese Anforderungen mittels linearem Projektmanagement zu bearbeiten, besteht insbesondere bei langwierigen Vorhaben die Gefahr, dass ausgelieferte Software nicht mehr den aktuellen Herausforderungen entspricht. Das lag vor allem an der Art, wie sie in der IT- und Software-Entwicklung gesteuert wurden: Bei deren Start wurden die wichtigsten Herausforderungen und Ziele erarbeitet und in umfangreichen Lastenheften festgeschrieben. Zu Beginn eines Auftrages wurde das Heft dann dem Projektteam übergeben. Damit konnten sich verändernde Bedingungen, wie ein neues Konkurrenzprodukt, Technologieentwicklungen oder neue Kundenanforderungen nachträglich nur schwer berücksichtigt werden. In ihrem Scrum Guide beschreiben Schwaber und Sutherland, wie diese Probleme mittels Scrum vermieden werden können. So soll mit der Methode Transparenz geschaffen werden und die geplanten Aufgaben nicht überhandnehmen. Aufgaben und ihre Bearbeitung sollten regelmäßig in so genannten Reviews überprüft werden.

    Vom Dauerläufer zum Sprinter – Agilität beschleunigt den Informationsfluss

    In Scrum werden Aufgaben in Zyklen, so genannten Sprints, gelöst. Jeder Sprint beginnt mit einer Planungsrunde (Planning): Welche Aufgaben müssen im kommenden Zeitraum gelöst werden, wie organisieren sich die einzelnen Teams und welcher Arbeitsaufwand kann bis zum Ende des Sprints bewältigt werden? Ist die Planung abgeschlossen, arbeiten die Teams an ihren Aufgaben und nehmen neue Aufgaben erst wieder in ihre Planung auf, wenn ein Sprint abgeschlossen ist. Das gibt zum einen eine gewisse Planungssicherheit und verhindert andererseits, dass ad-hoc-Aufgaben das Erreichen der definierten Ziele stören.

    „Bei der Planung eines Sprints sollten Teams trotzdem Ressourcen für Ad-hoc-Aufgaben einplanen. Damit kurzfristige Anfragen aber die Sprintplanung nicht vollständig blockieren, müssen der Umfang dieser Aufgaben vom planenden Team sinnvoll geschätzt und von Fall zu Fall bearbeitet werden können“, schränkt Stefan Rothermel ein. Zeiten für Sprints sind von Team zu Team unterschiedlich, durchgesetzt haben sich Sprint-Zeiten von sieben bis 21 Tagen. Teams bleiben so für veränderte Bedingungen empfänglich und können neue Herausforderungen schnell in die folgende Aufgabenplanung integrieren. Sprints werden deshalb mit einer Kritikrunde (Review) beendet, gemeinsam der Erfolg der erreichten Ziele bewertet und wieder neue Ziele festgelegt. Dieses iterative Arbeiten, also die kontinuierliche Verbesserung der Arbeitsergebnisse, eröffnet eine stetige Verbesserung der Projektgruppen und Teams.

    Agile Unternehmen sind erfolgreicher als Konkurrenten

    Zwei Arten von Aufgaben lassen sich nur schwer agil organisieren: Routineprozesse, die stark strukturiert sind, etwa in der Lohnbuchhaltung, oder hochkomplexe Aufgaben, die den Einsatz von Spezialisten erfordern. Dazwischen eröffnet sich ein Spektrum, bei dem agiles Arbeiten viele Chancen bietet, um Teams erfolgreicher und flexibler zu machen. Auch Einkäufer müssen nicht zwingend alle Aufgabenbereiche agil organisieren, beispielsweise Werksverträge oder die Beschaffung von Randbedarf. Während erstere ein hohes Maß an Spezialisierung erfordern, sollten aufwendige Prozesse wie die Beschaffung von Randbedarf lieber komplett automatisiert werden. Dazu stehen Einkäufern und Unternehmen schon jetzt B2B-Beschaffungsplattformen oder B2B-Vernetzungsplattformen zur Verfügung. Auf diesen Plattformen lassen sich Beschaffungsprozesse weitgehend digitalisiert abbilden, so dass für die Einkäufer mehr Ressourcen für strategische Entscheidungen zur Verfügung stehen. Damit können sie sich vermehrt auf Prozesse der Wertschöpfung im Unternehmen konzentrieren, etwa Verhandlungen mit Lieferanten oder die Einführung neuer Tools und Systeme, die operative Aufgaben erleichtern.

    Zwischen diesen Extremen aus hochspezialisierten Anwendungen und automatisierten Prozessen bietet agiles Arbeiten Einkäufern viele Chancen, Aufgaben agil zu organisieren. Diese Methoden eignen sich vor allem dann, wenn Einkäufer Prozesse organisieren, an denen zahlreiche Beteiligte neue Lösungen gestalten. Beispiel Produktentwicklung: Für die Entwicklung neuer Produkte sind es häufig Ingenieure, die Bedarfe nach besonderen Anforderungen benötigen. In diesem Prozess ist es die Aufgabe des Einkäufers, diese Anforderungen an Lieferanten und Zulieferer zu kommunizieren, etwa welcher Umfang, welche technischen Eigenschaften und welche Zeitrahmen bei der Bereitstellung des Bedarfes zu beachten sind. Gleichzeitig pflegt der Einkäufer die Beziehungen zum Lieferanten, der entweder Produkte bereitstellen kann, die zu den beschriebenen Anforderungen passen, oder aber Produkte bereitstellen, die wiederum neue Anwendungsmöglichkeiten eröffnen. Werden diese Aufgaben in Sprints organisiert, entsteht ein steter Informationsfluss zwischen allen Beteiligten. So werden Informationen über Anforderungen, die Rückmeldung, welche Produkte das beschriebene Einsatzszenario erfüllen oder sich sogar besser eignen und mögliche Zeiträume für alle Beteiligten transparent und alle gewinnen an Planungssicherheit.

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    Für alle Beteiligten, die sich mittels agiler Methoden organisieren, kommt es gerade zu Beginn eines Sprints zu einem erhöhten Kommunikationsaufwand. Für Einkäufer kann das bedeuten, dass bei der Planung eines Sprints die Anforderer einer Fachabteilung und die Zulieferer gemeinsam die Aufgaben besprechen. Diese Investition in den Prozess rechnet sich jedoch schnell. Durch den steten Austausch öffnet sich eine Chance, von der gerade Einkäufer immens profitieren: „Die regelmäßigen Planungssitzungen und Reviews erzeugen einen stetigen Informationsfluss zwischen den verschiedenen Beteiligten. Weil sich ändernde Anforderungen und erfolgreiche Lösungen regelmäßig kommuniziert werden, können sie problemlos in die weitere Planung eingebunden werden“, sagt Stefan Rothermel. Auf diese Weise wird ein hohes Innovationspotenzial freigelegt, das im herkömmlichen Projektmanagement nur schwer abgerufen wird. Denn Innovation können nicht eingefordert oder in einen Lösungsweg gegossen werden. Sie müssen wachsen, sich ergeben im steten Austausch zwischen Experten. Für Einkäufer wird es so leicht, Innovationen von außen ins Unternehmen zu tragen und Anforderungen aus dem Unternehmen an Zulieferer zu kommunizieren.

    Wie stark das Innovationspotenzial durch agile Prozesse ist, hat die Boston Consulting Group (BCG) in einer Studie erhoben. Unternehmen sind demnach erfolgreicher, wenn sie auf agile Prozesse setzen. Laut BCG-Studie erzielen sie bis zu fünf Mal mehr Umsatz und verzeichnen ein stärkeres Wachstum als vergleichbare Mitbewerber. Die Studie zeigt zugleich, dass agiles Arbeiten allein nicht Erfolgsgarant sein kann. Zusätzlich müssen Unternehmen, die auf agile Prozesse setzen, weitere Faktoren berücksichtigten, um das volle Potenzial agiler Methoden nutzen zu können. Dazu gehört eine klare Zuordnung der Ergebnisverantwortung. Das heißt, Projektteams müssen nicht nur miteinander im Austausch sein, sondern auch Entscheidungen autonom treffen und umsetzen können. Auch die Nähe zu lokalen Märkten und flache Hierarchien sind dabei wichtig, denn je kürzer die Informations- und Entscheidungswege, desto höher das Potenzial zur Agilität.

    Agiler Spickzettel: Scrum-Begriffe im Überblick.

    Einkäufer moderieren mit agilen Methoden Innovationsprozesse

    Obwohl sich der Einkauf durch seine zentrale Position als Schnittstelle im Unternehmen für agiles Arbeiten eignet, stehen gerade hier viele Verantwortliche agilen Methoden eher skeptisch gegenüber. Das zumindest sind Ergebnisse der „Kurzstudie Agiler Einkauf“ von Prof. Dr. Ayelt Komus, Thomas Heupel, Maximilian Kassner, Claus-Peter Koch und weiteren. Sie haben an der Hochschule Koblenz untersucht, inwieweit Einkäufer sich für agiles Arbeiten gerüstet sehen und welche Hemmnisse in ihren Augen bei der Einführung von agilen Methoden herrschen.

    So erwarten mehr als dreiviertel der Befragten Einkäufer, dass agile Methoden im Einkauf grundlegende Veränderungen hervorbringen würden. Mehr als 85 Prozent der Einkäufer fühlen sich aber gleichzeitig nicht ausreichend das Arbeiten mit agilen Methoden vorbereitet. Dieser Befund ist für Unternehmen eine große Herausforderung, denn die befragten Einkäufer identifizieren gerade die Software-Entwicklung, die Produktentwicklung und produktspezifische Dienstleistungen als Felder, bei denen agiles Arbeiten wesentlich zum strategischen Erfolg beitragen. Besonders kommunikationsintensive Aufgaben würden für Einkäufer am besten durch agile Methoden bearbeitet. So identifizieren die Einkäufer Abstimmungsprozesse mit Fachabteilungen, das Einholen von Angeboten und die Spezifikation von Beschaffungsbedarfen als Aufgaben, die besonders durch agile Methoden verändert würden.

    Als Hemmnis, auf agiles Arbeiten zu setzen, benennen die Befragten zum einen die Akzeptanz der Veränderungen. So vermuten die Teilnehmer der Studie, dass nicht alle Einkäufer auf agile Methoden setzen wollen oder setzen dürfen. Die Akzeptanz innerhalb des eigenen Unternehmens auf Management und Einkäufer-Ebene sei für die Befragten unklar. Auch das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, agile Methoden umsetzen zu können, ist bei den Befragten nicht ausreichend vorhanden. Den Grund dafür liefern die Befragten gleich mit und geben an, dass 51 Prozent der Befragten noch gar nicht von agilem Arbeiten gehört haben und nur ein knappes Drittel der Einkäufer derzeit dabei ist, sich vorsichtig an die Arbeit mit agilen Methoden heranzutasten.

    Hemmnisse abzubauen ist die vielleicht größte Herausforderung, die Verantwortliche in Unternehmen meistern müssen. Agilität einzuführen und auf agile Prozesse zu setzen ist vor allem eine Frage der Unternehmenskultur und der Unternehmenswerte. Diese zu ändern ist eine langfristige Aufgabe, die von vielen Beteiligten getragen werden muss. Dennoch schließen die Autoren ihre Studie mit einem Aufruf: Lieber gleich starten, als sich in langen Planungsprozessen zu verlieren. Denn auch das ist ein Merkmal von Agilität: Fehler zulassen, daraus lernen und stetig besser werden.

    Wer schreibt hier?

    Sebastian Prill

    Mein Name ist Sebastian Prill und ich arbeite als Redakteur bei Mercateo. Digitale Themen faszinieren mich und dabei vor allem, wie Daten zur Wertschöpfung beitragen können. Ich finde es spannend, wie mit Big Data in Wirtschaft und Journalismus Verborgenes sichtbar gemacht wird und wie die Digitalisierung den Alltag verändert.

    Sebastian Prill