Keyvisual: Blockchain

    Hätte, hätte, Kryptokette: Blockchain auf dem Prüfstand

    Blockchain kann Behörden ersetzen, das Finanzwesen revolutionieren und vielleicht sogar die Welt retten? Entgegen des medialen Hypes, der nicht zuletzt nervenaufreibenden Schwankungen des Bitcoins und Überschriften wie „Wie Blockchain die Meere vom Plastikmüll säubern soll“ zu verdanken ist, sind handfeste Blockchainprojekte in der B2B-Branche allerdings vergleichsweise rar. Forrester Research fand kürzlich heraus, dass 9 von 10 Blockchaininitiativen in den USA nie realisiert werden. Im B2B-Sektor gibt es bereits Anwendungen, die sich auf Blockchaintechnologie stützen. Ihr ganzes Potenzial entfaltet die Technologie aktuell aber nicht.

    In einem weiteren Blogbeitrag zum Thema “Blockchain im B2B” stehen die Chancen und Möglichkeiten im Fokus, die die Blockchain für B2B bietet.

    • Warum Blockchain sein großes Potenzial im B2B nicht entfaltet
    • Rechtslage bei Smart Contracts
    • Drei Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft geben Einschätzungen

    Von wegen wasserdichte Lieferkette

    Die Lieferkette überwachen, Echtheit garantieren und lückenlos bis zum Kunden nachhalten, welcher Rohstoff welchen Weg genommen hat – das sind die interessanten Anwendungen der Technologie im B2B. Wenn die Blockchain all das ermöglichen kann, warum macht die B2B-Branche es dann nicht schon längst? Immerhin ist die Blockchaintechnologie schon seit Jahren verfügbar. „Es gibt in der Realität wenige abgeschlossene digitale Systeme, in denen das funktionieren kann“, sagt Dr. Ross King. In den meisten Lieferketten gibt es einen Störfaktor: den Menschen. Der Senior Scientist am Austrian Institute of Technology untersuchte Blockchainprojekte im B2B-Umfeld und stellte dabei immer wieder fest, dass die Schnittstelle zwischen Mensch und Datenstrang eine entscheidende Eigenschaft einer Blockchain aushebelt. Die angestrebte Transparenz geht verloren. „Die Daten in einer Blockchain sind unveränderbar, das heißt aber noch lange nicht, dass sie korrekt sind“, sagt King, „dieses Problem löst die Technologie von selbst nicht.“ Letztendlich müsse man wieder denjenigen vertrauen, die Daten einspeisen, in den überwiegenden Fällen also Menschen. An Sicherheit ist nichts gewonnen, wenn zwar in einer Blockchain die Lieferung von beispielsweise Bio-Fleisch getrackt wird, aber nicht nachgewiesen werden kann, ob das Produkt wirklich von dem richtigen Hof stammt oder lediglich die Daten falsch eingegeben wurden.

    Um eine authentische Nachverfolgung zu gewährleisten, müssten alle Komponenten, die Daten an die Blockchain liefern, nicht manipulierbar sein, und alle Daten jederzeit verfügbar halten. Das bedeutet beispielsweise die vollständige Vernetzung eines Lagers mit RFID-Chips in Produkten, Scannertoren an den Ausgängen oder Smart Gloves für jeden Mitarbeiter. „Zusätzlich muss jedes Produkt einen digitalen Fingerabdruck bekommen, damit man es eineindeutig erkennen kann“, erklärt Professor Wolfgang Prinz, stellvertretender Institutsleiter Fraunhofer FIT Head of CSCW Research, „bei Diamanten geht das bereits, jeder hat eine einzigartige Struktur, die man übersetzen und als Datenpaket ablegen kann.“ Ohne diese Eineindeutigkeit physischer Waren ist die Transparenz der dazugehörigen Blockchain dagegen oft wertlos. Dann ist Blockchaintechnologie nicht mehr als ein Datenverzeichnis wie jedes andere auch. Derzeit lässt sich die Technologie höchstens für einen Teil der Lieferkette, etwa der Produktion in einer vernetzten Fabrik (Smart Factory), anwenden. Langfristig gesehen könnten sich Unternehmen und Händler auf diese Weise vor Imitaten oder minderwertigen Rohstoffen schützen. Aktuell fehlen erfolgreiche Beispiele, in denen das Problem des Medienbruchs zufriedenstellend gelöst wird, wie Prinz bestätigt. King sagt dazu: „Wir haben versucht, in der Studie Prozesse zu evaluieren, aber das ist kaum möglich, weil so gut wie keine Ergebnisse publiziert werden.“ Die wissenschaftlichen Beweise fehlten, so der Forscher. Zwar behaupteten etliche Unternehmen, Blockchainprojekte für die Lieferkette umzusetzen, möglicherweise gehe es dabei mehr um Prestige als um die Technologie. Auf den Hype, da ist er sich sicher, wird Ernüchterung folgen. „Die Blockchain hat ein sehr großes Potenzial, aber im Moment auch sehr viele Schwachstellen“, sagt er. Man solle sich gut überlegen, ob für bestimmte Problemszenarien nicht auch eine Datenbank reichen würde.

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    Smart Contracts - Weniger verbindlich als ein Strich auf einem Bierdeckel

    Smart Contracts, die Grundlage vieler Blockchain-Anwendungsfälle sind, sind hierzulande keine echten Verträge. „Der rechtliche Rahmen ist noch nicht geklärt, deshalb ist für Unternehmen Vorsicht geboten“ sagt Rainer Will, Geschäftsführer des österreichischen Handelsverbandes. „Derzeit ist nicht einmal geregelt, ob man eine Eintragung in eine Blockchain überhaupt in eine rechtliche Forderung umwandeln kann“, ergänzt Professor Wolfgang Prinz. Blockchaindaten haben demzufolge aktuell weniger Beweiskraft als ein Strich auf einem Bierdeckel. Was passiert also, wenn man nicht glaubt, dass das getrackte Bio-Fleisch von einem Bio-Hof kommt – obwohl es so im Smart Contract festgehalten ist? „Es wird ja schon heutzutage schwierig, wenn man heute sein Kryptogeld in klassische Währung umtauschen möchte“, so Prinz. Darüber hinaus sind die Steuerbehörden hellhörig, wenn Geld praktisch unsichtbar über Kontinente hinweg transferiert wird. Die Unsicherheit hemmt den Einsatz der Technologie im B2B-Umfeld. Will fordert daher schnellstmöglich Steuer- und Rechtssicherheit – oder für den Übergang “regulatorische Sandboxen“, um „helle Köpfe junger Startup-Unternehmen für die Umsetzung im Land zu behalten“ wie er sagt. Ein Fraunhofer-Forschungsteam um Professor Prinz empfahl in einer Studie, Standards und Zertifizierungen für Smart Contracts zu erarbeiten. Die Standardbausteine sollen dann beispielsweise für Konzerne und KMU verfügbar sein. Immerhin: eine ISO-Norm ist auf dem Weg.

    Vertrauensproblem nur in wenigsten Fällen lösbar

    Dritte Instanzen oder “Mittelsmänner”, wie Banken, Plattformen oder Marktplätze werden beispielsweise in den B2B-Handel eingebunden, wenn Handelspartner auf eine verlässliche und rechtssichere Infrastruktur bauen wollen. Sie tun das zum Teil, weil sie Ausfallrisiken nicht tragen wollen, sie darüber Zugang zu einem Marktsegment erhalten möchten oder sie einander nicht trauen. Eine Handelsplattform braucht es nicht, wenn sich Verkäufer und Käufer sicher sein könnten, dass Handel und Lieferung korrekt laufen. Die dritte Instanz schließt in manchen Fällen diese Vertrauenslücke. „Cut out the middlemen“ – zu deutsch „schaltet die Mittelsmänner aus“ - ist dennoch ein Credo beim Einsatz von Blockchaintechnologie im Handel. Blockchain kommt dank Peer-to-Peer-System ohne einen Dritten aus. Das gesamte Netzwerk hat die Datenhoheit, verwaltet und teilt Informationen. Statt sich gegenseitig zu vertrauen, verlassen sich alle Nutzer auf die valide Kette. Wie bereits beleuchtet, funktioniert das allerdings nur lückenlos, wenn die Wertetransaktion keine physischen Güter ohne digitalen Fingerabdruck, wie etwa Rohstoffe, Lebensmittel oder C-Teile betrifft. Andernfalls funkt der Störfaktor und möglicher Manipulator “Mensch” dazwischen. „Wenn man den Menschen außerhalb der Blockchain ohnehin trauen würde, dann bräuchte man oft keine Blockchain“, sagt Rainer Will dazu. Und wenn man den Beteiligten nicht traue, dann löse – wie im Abschnitt zur Supply Chain beschrieben – die Kette allein dieses Problem in den meisten Fällen im B2B nicht.

    In Zukunft werde menschlich begründetes Vertrauen dennoch an Bedeutung verlieren, meint Rainer Will. Der Geschäftskultur im B2B-Sektor entspricht das allerdings nicht. Im B2B, wo Vertragsabschlüsse oft erst nach monatelangen Verhandlungen und persönlichen Treffen entstehen, fehlt bei einer radikal auf Blockchain basierten Lösung ein echter Ansprechpartner. Zurzeit übernehmen beispielsweise Handels- oder Vernetzungsplattformen diese Rolle. Diese Plattfomen nehmen den Unternehmen eine Menge technologische Arbeit ab, bieten nutzerfreundliche Fertiglösungen, sichern Transaktionsgeschwindigkeiten und haben kein so großes Skalierungsproblem wie Blockchains. Zudem haben sie in bestimmten Anwendungsgebieten einen wesentlichen Vorsprung: Aktuell ist die Blockchain beispielsweise gänzlich ungeeignet, Katalogdaten abzubilden oder sich stets verändernde Produkt- und Preisdaten zu verwalten. Selbst in Permissioned Blockchains ist die Unabghängigkeit von Dritten nicht gegeben, da sie meist von Firmen gehostet werden, die ein Eigeninteresse haben. In solche Blockchains sind sogar administrative Eingriffe möglich. Die asiatische Handelsplattform Alibaba hat sich ein entsprechendes System dazu kürzlich patentieren lassen. Das ist sie also, die regulierende Instanz. Mitten in der Blockchain. Wer mithilfe der Blockchain wirklich unabhängig von allen möglichen Einflussnehmern agieren will, müsste wohl selbst eine Blockchainlösung entwickeln und mit großem Aufwand das dazugehörige Netzwerk unterhalten.

    Blockchain: Mythos oder Wirklichkeit.

    Im Hinblick auf behördliche Aufgaben, sagt Professor Wolfgang Prinz, sei das Vertrauensproblem, das Blockchain lösen soll, kaum vorhanden: „In Deutschland herrscht allgemein ein sehr großes Vertrauen in Behörden und Banken“, sagt er. In Ländern hingegen, in denen Korruption staatliche Einrichtungen durchzieht, „könnte die Blockchain wesentlich schneller und umfangreicher genutzt werden, um Manipulationen durch Dritte zu vermeiden“, sagt er. In Deutschland werde es wenigstens 50 Jahre dauern, schätzt er, bis Notare oder Banken durch die Technologie überflüssig werden könnten.

    Unterm Strich

    Die großen Versprechen löst die Kryptokette aktuell nicht ein. Die offensichtlichen Schwächen für die Anwendung im B2B sind der Schnittpunkt zwischen Mensch und Maschine sowie die schwierige Rechtslage. Hinzu kommen die Skalierbarkeit und extreme Kursschwankungen bei verschiedenen Kryptowährungen. Was also tun? Arme verschränken und auf Lösungen warten? „Nein“, sagt Prinz. Trotz aller Schwächen der Technologie empfiehlt er Unternehmen, sich zumindest mit Blockchain auseinander zu setzen, um zu entscheiden, ob die Technologie zukünftig im eigenen Unternehmen anwendbar wäre. Dr. Ross King betont, man solle nicht blind und trendversessen Blockchainlösungen um des Images willen etablieren, sondern sich wirklich Gedanken machen, welche Probleme der B2B-Handel gerade hat und wofür die Kette eine echte Lösung bieten könnte. Das geht allerdings nur, wenn man weiß, was die Kryptokette kann, und was nicht.

    Wer schreibt hier?

    Julia Rau Autorin

    Mein Name ist Julia Rau und ich arbeite als Redakteurin bei Mercateo. Als ausgebildete Journalistin habe ich mehrere Jahre für Tageszeitungen die Nase in alles Mögliche gesteckt und u.a. eine Serie über Digitalisierung geschrieben. Meine unerschöpfliche Neugier treibt mich immer wieder zu all jenen Themen, denen die Bundesregierung ein „4.0“ in den Titel gehängt hat.

    Julia Melissa Rau